Warum „richtig und falsch“ uns nicht helfen

Wollen Sie alles richtig machen? Wollen Sie wissen, welcher Weg der Richtige ist? Und wollen Sie auf keinen Fall etwas falsch machen? Dann sind Sie mit dieser Einstellung nicht allein. Täglich kommen Menschen zu mir, die genau das anstreben. Von einem Experten erwarten Sie, dass er Ihnen sagt, was richtig und was falsch ist. Doch ist das realistisch? Und was hilft stattdessen?

 

Lebenserfahrung

Wenn wir auf die Welt kommen, beginnt ein lebenslanger Lernprozess. In den ersten Jahren lernen wir besonders viel und schnell. Wir lernen aus eigenem Antrieb, durch Versuch und Irrtum. Wir fallen tausendmal hin bevor wir laufen können und stehen doch unermüdlich wieder auf. Unsere Eltern freuen sich über jeden kleinen Fortschritt und feuern uns begeistert an.

Spätestens in der Schule, ändert sich das. Wir werden verglichen mit anderen und wir lernen, uns selber zu vergleichen. Wer alles richtig macht, bekommt einen Einser – wer alles falsch macht, bleibt sitzen. Wir lernen: Fehler vermeiden. Wer alles richtig macht, wird anerkannt!

Doch im Leben geht es nicht um richtig und falsch. Perfektionismus kann lähmen: Wer den perfekten Partner sucht, bleibt womöglich allein. Wer die perfekte Lösung sucht, entscheidet nicht, aus Angst eine bessere Lösung zu verpassen. Und wer einem Kunden, der sich beschwert beweist, dass er recht hat, verliert den Kunden.

 

Jeder lebt in seiner Welt

Jeder Mensch nimmt die Welt anders wahr. Diese Erkenntnis hat für mich etwas sehr Befreiendes. Sie befreit mich vom Druck, Recht haben zu müssen. Und Sie weckt eine (kindliche) Neugier zu erfahren, welche anderen Möglichkeiten es gibt, jenseits meiner Wirklichkeit.

Drei Einflussfaktoren bestimmen unsere Wahrnehmung der Welt:

  • Unsere Sinne
  • Unsere Perspektive und der Rahmen
  • Gemachte Erfahrungen

Mit unseren Sinnen nehmen wir unsere Umgebung wahr. Sehen und hören sind und besonders bewusst. Riechen, tasten, schmecken und fühlen wirken oft unbewusst. Wir können unsere Sinne schärfen indem wir uns auf einen Sinn konzentrieren und üben.

Eine sehr nützliche Fähigkeit ist es, die Perspektive zu wechseln. Wir sind in der Lage uns gedanklich andere Perspektiven anzuschauen:

  • Wie sieht die Situation aus der gegenüberliegenden Position aus?
  • Was nimmt die Fliege in der Ecke wahr?
  • Was würde unser Vater dazu sagen?

Noch wirkungsvoller ist es, wenn wir die Perspektive tatsächlich wechseln:

  • Den Stuhl tauschen
  • Rollen tauschen

 

Ich möchte die Welt mit den Augen meiner Kunden sehen. Deshalb sitze ich neben ihnen und nicht hinter meinem PC. Klick um zu Tweeten

Wissenschaftler haben erforscht, dass wir ein und dieselbe Szene völlig unterschiedlich wahrnehmen – je nachdem in welchem Kontext oder Rahmen sie steht. Man spricht auch vom Framing:

  • Wie anders wirkt ein Bild im Barockrahmen oder im Glasrahmen?
  • Wie verändert sich die Antwort auf eine Frage, je nachdem, wie ich sie formuliere?

Sehr prägend sind gemachte Erfahrungen. Sie prägen unsere Sicht auf die Dinge und stellen gleichsam den zeitlichen Rahmen dar.

 

Keine Rechtfertigung für Fake-News und Manipulation

Die Erkenntnis, dass wir die Welt unterschiedlich wahrnehmen, rechtfertigt übrigens keine „Fake-News“. Diese entstehen nicht aus der Haltung, andere verstehen zu wollen, sondern sie bewusst zu manipulieren.

  • Wer wissentlich Falschnachrichten in die Welt setzt und Fakten verdreht,
  • wer das Verhalten anderer als „richtig oder falsch“ bewertet,
  • und wer die Schuld auf Schwache und Andersartige schiebt,

der spielt mit den Gefühlen und der Würde anderer Menschen.

Wie können wir konstruktive und lösungsorientiert damit umgehen, dass jeder Mensch in seiner Welt lebt? Wer Schulnoten verteilt und andere bewertet, der ist gefürchtet. Eine Basis für einen konstruktiven Dialog ist das nicht. Wie können wir es erreichen, dass sich unser Gegenüber öffnet?

 

Fühlt sich das für Sie stimmig an?

Wer diese Frage bejahen kann, ist er der Lösung nah. Im Coaching ist Stimmigkeit eine wichtige Kategorie.

Stimmigkeit: Wenn die Teile eines Ganzen gut zusammenpassen und sich widerspruchsfrei ergänzen, ist es „in sich stimmig“. Schulz von Thun hat Stimmigkeit zum Ideal in der Kommunikation erklärt. Es geht ihm um eine doppelte Übereinstimmung

  • mit sich selbst (authetisch)
  • und mit dem Gehalt der Situation (angemessen).

Haben Sie es bemerkt? Die Frage lautet nicht: Ist das stimmig? – sondern: Wie fühlt es sich an? Es geht um Gefühle, das ist für viele ungewohnt, haben wir doch gelernt, Gefühle zu unterdrücken und dem Verstand zu vertrauen. Neue Möglichkeiten eröffnet es, wenn wir Gefühle zulassen und lernen unserer Intuition zu vertrauen.

Menschen handeln selten logisch, sondern psycho-logisch. Deshalb fragt ein Finanzcoach nicht, ob etwas richtig ist, sondern, ob es sich „stimmig anfühlt“. Klick um zu Tweeten

Was bedeutet, ein Verhalten ist „psycho-logisch“?

Da ist der notorische Schuldner, der ständig seinen Dispo ausreizt und es nicht schafft, ein Guthaben aufzubauen. Auf die Frage „Wie wäre es für Sie, wenn Sie 20.000 Euro auf dem Konto hätten.“ Antwortet er: „Ganz ehrlich, das fühlt sich nicht gut an.“ Wie kann das sein? Im Gespräch stellt sich heraus, dass alle in seiner Familie finanzielle Probleme haben und er befürchtet mit so viel Geld, nicht mehr dazu zu gehören.

Da ist die Tochter eines notorischen Spielers, die am eigenen Leib erfahren hat, welche Probleme durch Spielsucht entstehen. Sie heiratet einen Spieler. Wie kann das sein? Im Gespräch stellt sich heraus, dass sie es gewohnt ist mit einem Spieler zu leben. Die Probleme, so negativ sie sind, sind ihr vertraut. So seltsam es klingt, es ist ihre Komfortzone. Wir alle neigen dazu, Fehler zu wiederholen, weil uns das Verhalten zur Gewohnheit geworden ist.

Thomas Middelhof ist als erfolgreicher Manager eines Großkonzerns gar nicht auf die Idee gekommen, dass andere sein Ausgabeverhalten als unangemessen betrachten könnten. Bis ihn sein Verhalten ins Gefängnis brachte, wo er Zeit fand über sich nachzudenken.

Wir Menschen besitzen die wertvolle Fähigkeit, über uns selber und unser Verhalten nachdenken zu können. Klick um zu Tweeten

 

Ist das plausibel?

Was die Stimmigkeit für den Finanzcoach ist, ist die Plausibilität für den Finanzplaner. Keine Planung dieser Welt ist richtig in dem Sinne, dass es genauso kommt, wie geplant. Ist es deshalb sinnlos zu planen? Keineswegs.

Finanzplanung bedeutet vorbereitet zu sein auf Veränderungen im Leben und bietet die Chance, zielgerichtet zu agieren. Klick um zu Tweeten

Wer plant muss Annahmen über die Zukunft treffen. Das ist eine bestmögliche Schätzung. Je weiter in die Zukunft wir planen je größer sind mögliche Abweichungen. Wer rollierend plant, kann zeitnah adjustieren.

 

Zielführend agieren

Woran sollen wir uns orientieren? Stimmig oder plausibel, ist das nicht zu beliebig?

In der Beratung und im Coaching geht es den Kunden. Die Aufgabe des Beraters, Coaches ist es, dem Kunden zu helfen, das zu erreichen, was er möchte. Daher beginnt jede gute Beratung und jedes gute Coaching mit der Definition des Ziels. Das ist keinesfalls trivial, fällt es uns doch schwer, genau zu formulieren, was wir wollen. Doch die Mühe lohnt sich.

Ist ein Ziel erst definiert, bietet es Orientierung. Sie können jede Handlung und Entscheidung daraufhin abklopfen, ob sie Sie Ihrem Ziel näherbringt oder eher davon weg. In einem Beratungsgespräch ist das Ziel, der gemeinsame Bezugspunkt.

Auch in der Psychologie gibt es eine Entsprechung. Wir sprechen umgangssprachlich von „Denkfehlern“. Auch ich weise in meinen Beiträgen immer wieder auf “Denkfallen“ hin. Der leider etwas sperrige Fachausdruck „Disfunktionale Kognition“ trifft den Kern besser. Statt von Fehlern zu sprechen, betrachten wir, ob ein Gedanke hilfreich (funktional) ist. Er ist dann hilfreich, wenn er uns zu unserem Ziel führt.

Ein Beispiel: Der Glaubenssatz „Ich kann nicht mit Geld umgehen.“ hindert uns mehr, als das er uns hilft beim Ziel, erfolgreiche Finanzentscheidungen zu treffen.

 

FAZIT:

Richtig und falsch sind Kategorien, die Selbstreflektion und Kommunikation erschweren. Hilfreicher ist es, sich klare Ziele zu setzen und sich zu fragen, ob eigene Handlungen und Gedanken helfen, das Ziel zu erreichen. Wirkungsvolle Fragen sind:

Finanzcoach: Fühlt sich das stimmig an?

Finanzplaner: Ist das plausibel?