- Meine Lebensversicherung wird fällig, aber es gibt keine Zinsen mehr!
- Ich soll in Aktien einsteigen sagt mein Banker, sonst verpasse ich etwas. Aber im Internet warnt man vor dem Crash.
- Ich muss etwas für meine Rente tun, sagen sie im Fernsehen, sonst droht Altersarmut. Doch was? Mein Banker empfiehlt Fonds, mein Versicherungsvertreter Riester, meine Mutter Bausparen und mein Freund schwört auf Aktien?
- Sind die Kurse jetzt hoch oder niedrig? Wann ist der richtige Zeitpunkt einzusteigen?
- Sind Immobilien teuer oder noch günstig? Soll man jetzt trotz hoher Preise noch kaufen und die niedrigen Kredit-Zinsen ausnutzen? Oder besser abwarten?
Fragen über Fragen: Was soll ich tun?
Die Komplexität von Finanzentscheidungen überfordert - Was soll ich tun? Share on X
Viele fühlen sich überwältigt von dem großen Angebot, den vielen Möglichkeiten, den unterschiedlichen Meinungen und gut gemeinten Ratschlägen, Tipps und Warnungen. Warum stresst uns das so?
Was uns schwer fällt
Drei Herausforderungen sind es vor allem, die uns zu schaffen machen:
Komplexität – Alles hängt mit allem zusammen. Was ist Ursache, was Wirkung? Es fällt schwer, die Auswirkungen unseres Handelns einzuschätzen. Uns stehen viel mehr Informationen zur Verfügung als wir verarbeiten können.
Ungewissheit – Wir sehnen uns nach Stabilität und Sicherheit. Wir suchen Muster, Erklärungen und Geborgenheit. Finanzen sind vielen fremd, dies verstärkt das Gefühl der Unsicherheit. Medienlärm und Skandale verunsichern.
Unwissenheit – In der Schule lernen wir alles Mögliche. Über Geld lernen wir nichts. Jeder von uns muss täglich mit Geld umgehen und dennoch sind uns Finanzen fremd. Wir arbeiten hart um Geld zu verdienen, verstehen jedoch wenig davon, es zu mehren.
Wie wir reagieren
Es gibt zwei typische Reaktionen auf Geldstress:
- Schockstarre – Wir erkennen die Gefahr und starren wie das Kaninchen auf die Schlange, unfähig zu agieren. Häufig beobachte ich die subtilere Form, Verdrängung. Ein typisches Beispiel ist das, was wir „Altersvorsorge“ nennen. Aber wie? Also blenden wir das Problem aus und widmen uns angenehmeren Themen. Bis … es zu spät ist.
- Aktivismus – Wir Menschen sind Sammler und Jäger.
- Sammler sind weitverbreitet. Sie haben typischerweise klare Vorlieben: Immobilien, Lebensversicherungen, Bausparverträge, Gold … Ihre Anlagen sind einseitig, Risikostreuung fehlt.
- Die Jäger sind seltener, Sie jagen dem schnellen Gewinn, dem heißen Tipp oder dem Schnäppchen hinterher (Trader, Zinshopper).
Es sind Urinstinkte, die hier wachgerufen werden. Als Menschen haben wir die Möglichkeit unser Handeln zu steuern. Dazu müssen wir bewusst unseren Verstand einsetzen:
- Erst Nachdenken – dann Handeln. Das kostet Energie, lohnt sich aber.
Komplexes muss nicht kompliziert sein
Viele Finanzprodukte sind kompliziert. Das ist etwas Anderes als komplex. Die Philosophin Natalie Knapp hat das an einem Fußball-Beispiel veranschaulicht.
Abseits zu erkennen ist kompliziert, das Ergebnis des Spiels vorherzusagen komplex. Die Regeln des Abseits sind zwar anspruchsvoll, aber kalkulierbar. Das Ergebnis des Spiels hingegen lässt sich nicht kalkulieren, bis zum Schluss sind unvorhergesehene Ereignisse möglich. Das macht Fußballspiele so spannend.
Warum sind Finanzprodukte oft so kompliziert? Share on XFinanzen als Teil unseres Lebens sind komplex. Das lässt sich nicht ändern. Auch in unserem Leben sind jederzeit unvorhergesehene Ereignisse möglich. Komplexe Probleme brauchen nicht notwendigerweise komplizierte Lösungen. Gerade bei Finanzprodukten liegt der Verdacht nahe, dass sie absichtlich kompliziert gestaltet werden. Komplizierte Produkte bedienen einen Mythos, sie werden nur von „wahren Experten“ beherrscht. Auch lassen sich in komplizierten Konstruktionen hohe Kosten gut verstecken. Immer wieder tauchen Produkte auf, die versprechen gleich mehrere Probleme gleichzeitig lösen zu können, gleichsam wie ein Schweizer Messer.
Basisprodukte wie Einlagen, Renten, Immobilien, Aktien oder Gold sind in Ihrer Funktion klar zu unterscheiden. Kombination davon, insbesondere mit derivativen Strukturen, gleichen hingegen aus Sicht der Kunden Überraschungseiern. Die Finanzaufsicht Bafin überlegt gar, komplizierte Finanzprodukte für Privatanleger zu verbieten, wie dieser Artikel aus Welt24 zeigt.
Wir können mit Ungewissheit leben
Was ungewiss ist ängstigt und fasziniert uns zugleich. Während wir im Krimi den Zufall lieben, der den Mörder entlarvt, macht es uns Angst, wenn wir etwas nicht vorhersehen können.
Der beste Beweis, dass wir lernen können mit Ungewissheit zu leben, sind für mich der Straßenverkehr oder das Internet. Beide Bereiche sind gekennzeichnet von hoher Ungewissheit und großen Risiken. Täglich sterben Menschen im Verkehr und Internetseiten werden millionenfach gehackt. Und dennoch – es hält uns nicht davon ab, mit dem Auto zu fahren oder im Internet zu surfen. Und wir tun das nicht ängstlich, sondern mit Freude, ja Genuss – trotz aller Gefahren. Wie kann das sein?
Warum können wir mit Ungewissheit im Verkehr gut leben, während sie uns bei Finanzen Angst macht? Share on X
Drei Unterschiede mache ich aus:
- Eine hohe Motivation. Wir haben ein klares Ziel. Wir wollen von A nach B. Die wenigsten Menschen hingegen haben klare finanzielle Ziele.
- Übung und Gewöhnung. Wir bewegen uns täglich im Verkehr und im Netz. Wir entwickeln Übung darin und entwickeln ein Gefühl für den Verkehr. Es wird zur Gewohnheit, läuft unbewusst ab und kostet uns weit weniger Energie als bewusstes Entscheiden. Doch wer beschäftigt sich schon täglich mit seinen Finanzen (außer den aktiven Jägern).
- Alle tun es. Es fühlt sich richtig an, wenn wir etwas tun, dass alle tun. Wir sind soziale Wesen und brauchen Bestätigung. Wir orientieren uns an andere (aus unserem Stamm). Dieses Verhalten ist ebenfalls bei Finanzen zu beobachten, schadet dort aber, da es Schwankungen verstärkt. Starke Schwankungen lösen Emotionen aus und diese wiederum Kurzschlusshandlungen.
Viele irritiert, dass sich Finanzen nicht vorhersagen lassen. Schließlich gelingt uns das beim Wetter doch auch. Finanzprognosen sind nicht annähernd so treffsicher. Das liegt am Rückkopplungseffekt (selbsterfüllende Prophezeihung), hier im Video von Fintool näher erläutert.
Unwissenheit bedeutet, alles glauben zu müssen
Finanzielles Basiswissen wird nicht an der Schule vermittelt. Wir lernen es von denjenigen, die wir um Rat fragen und die uns Finanzprodukte verkaufen. Diese Informationen sind nicht neutral, es bestehen Interessenkonflikte. Der erfahrene Investor Warren Buffet hat es auf den Punkt gebracht:
„Frage nie Deinen Friseur, ob du einen Haarschnitt brauchst.“
Den Umgang mit Geld lernen viele nicht bewusst, sondern durch Nachahmung. Doch Geld ist abstrakt und wir projizieren unsere Gedanken auf das Geld. Unreflektierter Umgang mit Geld führt dazu, dass wir nicht verstehen was Geld bei uns auslöst.
Souverän ist, wer sich bewusst ist, was Geld mit ihm macht (Finanzcoaching) und wer weiß, was er mit Geld machen kann (Finanzbildung). Er hat die Schlüssel in der Hand, Geld so einzusetzen, dass es Mittel zum Zweck ist, die Ziele zu erreichen, die ihm wirklich wichtig sind.
Beziehungen sind der Schlüssel
„Es ist kaum möglich, etwas zu verstehen, zu dem wir keine Beziehung aufbauen.“ Natalie Knapp
Der beste Weg gute Finanzentscheidungen zu treffen ist, sich auf die Reise zu machen.
- Wer sich einlässt auf das Thema,
- wer Erfahrungen sammelt,
- wer sich an die Umgebung der Finanzmärkte gewöhnt,
- wer überlegt bevor er handelt und
- wer Ungewissheit spürt (wie im Verkehr), aber nicht fürchtet, sondern annimmt als Teil unseres Lebens,
- wer nachdenkt über Geld und seine Gedanken zu Geld,
der ist auf dem Weg, der ist auf dem Weg zur finanziellen Souveränität. Wer all dies tut, der übernimmt Verantwortung für sich, seine Gedanken, sein Handeln und seine Finanzen.
Meine Leseempfehlung zum Thema Komplexität: Natalie Knapp – Kompass neues Denken
Wie geht es Ihnen mit Komplexität und Ungewissheit?